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Leid und Ekstase

Öl- und Temperabilder von Piotr Valilus in der AOK ­Galerie

 

So ist nun einmal der Lauf der Dinge: Als 1967 Gemälde von Piotr Valius in einer Pariser Ausstellung mit sowjetischer Malerei auftauchten, wandte sich dem Außenseiter die Aufmerksamkeit der Nachrichtenverbreiter zu. Als sie zwei Monate vor seinem Krebstod am 13. Februar 1971 im Moskauer Atelier jedem zugänglich gemacht wurden und während viereinhalb Jahren rund 50000 Menschen durch die Zimmer der Wohnung gingen, nahm man das aufmerksam zur Kenntnis. Nachdem jedoch Valery Valius, der Sohn, emigriert war und die meisten der Bilder mit nach Wien, dann nach Stuttgart gebracht hatte, machte er die Erfahrung, daß sich das Interesse dafür in Grenzen hielt. Deshalb zum  Beispiel stellte er im Januar dieses Jahres das Bild „Kreuzigung“ auf dem Stuttgarter Schloßplatz aus — nicht etwa um zu verkaufen, sondern um dem Andenken seines Vaters gerecht zu werden.

Den Galeristen und Museumsleuten jedoch kann man es nicht einmal verdenken, daß sie sich reserviert verhalten. Weil Valius ekstatischer Nachexpressionismus ahistorisch im luftleeren Raum zu schweben scheint, wirkt, auch die impulsive    Farbgebärde der Bilder fast so, als sei sie zum Dekor erstarrt. Ausdrucksformen, die schon erfüllt worden sind, vermögen Inhalte nicht mehr adäquat zu transportieren. Für, die Erfahrung von Freiheit und Fesselung, von menschlichem Leid, Tod und Lebenswunder bilden sich dann kaum mehr Chiffren heraus, die unsere Übereinkunft dessen, was Wirklichkeit ist, in ihrer Komplexität und Brüchigkeit umfassen können.

Seine großen Formate in Öl und Tempera begann Valius, der zu ­ nächst Bauingenieur war und seine Familie dann als Illustrator ernährte, seit 1963 zu malen. Sie heißen „Nike", „Das Gericht tagt" oder „Selbstverbrennung“ und sind noch bis Ende März in der AOK ­Galerie zu sehen. Eingedenk der völligen Isolation, in der Valius arbeitete und die man wohl einfach nicht um hin kommt, mit in Betracht zu ziehen, eingedenk dieser Isolation erscheint sein Werk letztlich doch als ergreifendes Zeugnis eines sensiblen, begabten und leidensfähigen Menschen für die Schönheit des Lebens und die Entmenschlichung durch überwertige Ideen, mit denen sich die Macht schon seit jeher und immer wieder zu drapieren pflegt.

 hor